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Rückwärtslaufen – ist das ein neuer Trend?

Manche Social-Media-Kanäle suggerieren, dass Rückwärtslaufen ein neuer Trend sei – aber Fakt ist: „Rückwärtslaufen gibt es schon seit Langem, zum Beispiel als Teil eines Lauf-ABC“, sagt der Kölner Sportwissenschaftler Prof. Ingo Froböse.

Viele nutzen Rückwärtslaufen also als Aufwärmübung. Andere probieren es – inspiriert durch Postings auf Social Media – aktuell verstärkt aus, um sich sportlich einer neuen Herausforderung zu stellen.

Was bringt Rückwärtslaufen überhaupt?

Das Rückwärtslaufen ist koordinativ extrem anspruchsvoll. Das liegt daran, dass sich die gesamte Bewegung der Füße verändert. Statt mit der Ferse setzt man den Fuß beim Rückwärtsgehen erst mit dem Fußballen auf. Das Herausfordernde dabei ist, die Balance zu halten. Insofern trainiert das Rückwärtslaufen das Gleichgewicht. Um dieses Gleichgewicht halten zu können, ist die Muskulatur in den Waden, im Rücken und im Rumpf stärker und anders gefordert – diese Bereiche lassen sich durch das Rückwärtslaufen effektiv trainieren.

Auch das Gehirn profitiert von den ungewohnten Abläufen. Denn bei jeder Bewegung rückwärts ist hundertprozentige Konzentration wichtig, um nicht hinzufallen oder irgendwo anzustoßen und sich dadurch zu verletzen. Das trainiert das Koordinationsvermögen. Zugleich wird die Selbstwahrnehmung geschult. „Diese Achtsamkeit sich selbst gegenüber sorgt dann letztendlich auch für ein besseres Körpergefühl“, sagt der Orthopäde und Sportmediziner Thomas Schneider von der Gelenkklinik Gundelfingen in Baden-Württemberg.

Für wen ist Rückwärtslaufen geeignet?

„Im Prinzip eignet sich Rückwärtslaufen für alle, die körperlich fit sind“, erklärt Schneider. Grundvoraussetzung sei eine gewisse Geh-Sicherheit. „Vom Rückwärtslaufen abzuraten ist allen, die ein instabiles Sprunggelenk haben“, sagt der Sportmediziner. Sie hätten ein erhöhtes Risiko, beim Rückwärtslaufen zu stolpern und sich zu verletzen.

Wer Probleme mit der Halswirbelsäule oder Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich hat, sollte laut Schneider ebenfalls aufs Rückwärtslaufen verzichten. Denn zum Training gehört auch ein häufiges Wenden des Kopfes nach hinten, um sich zu vergewissern, dass man nicht schnurstracks auf ein Hindernis zuläuft. „Dieses wiederholte Kopfwenden kann ohnehin vorhandene Beschwerden in den Bereichen rund um Hals, Schulter und Nacken verstärken“, erklärt Schneider.

Auch Menschen mit Gleichgewichtsstörungen setzen besser nicht aufs Rückwärtslaufen. „Das Risiko, dass sie bei einem solchen Training die Balance verlieren, ist hoch“, sagt der Sportmediziner. Für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist aus seiner Sicht das Rückwärtslaufen ebenfalls nicht geeignet.

Wer an Osteoporose leidet oder aus anderen Gründen Stürze vermeiden sollte, sollte ebenfalls vorsichtig sein – und gut überlegen, ob er mit Rückwärtslaufen trainieren will. Ansonsten gilt dasselbe wie sonst auch beim Sport: Wer lange nicht mehr trainiert hat oder unter chronischen Erkrankungen leidet, spricht besser vorab mit seinem Arzt oder der Ärztin.

Stimmt es, dass Rückwärtslaufen Kniearthrose-Beschwerden lindert?

„Dafür gibt es keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege“, sagt Froböse. Zwar bewegt sich das Kniegelenk beim Rückwärtslaufen anders, da das Körpergewicht verlagert wird und so das Knie entlastet. Nur in einzelnen Fällen ließ sich aber nachweisen, dass Rückwärtslaufen Beschwerden bei Kniearthrose lindern kann. Zu diesem Ergebnis kommt etwa eine im Jahr 2019 an der King Saud University in Saudi-Arabien durchgeführte Studie mit 68 Teilnehmenden. „Daraus lassen sich aber keine allgemeingültigen Aussagen ableiten“, so Froböse.

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Ist erwiesen, dass Rückwärtsgehen das Erinnerungsvermögen verbessern kann?

„Auch hier ist die Studienlage dünn“, sagt Froböse. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der University of Roehampton in London haben etwa in einer kleinen Studie die Frage beleuchtet, ob sich Rückwärtsgehen als Gedächtnistraining eignet.

Dafür wurden Teilnehmern und Teilnehmerinnen Videos vorgespielt. Eine Gruppe sollte dann zum Beispiel rückwärts laufen, die andere vorwärts. Die anschließende Befragung ergab, dass die Gruppe, die rückwärts ging, sich besser an das Gesehene erinnern konnte. Allerdings ist das noch kein ausreichender Beleg dafür, dass Rückwärtslaufen das Erinnerungsvermögen verbessert. Dazu wären weitere Untersuchungen notwendig.

Wie trainiert man Rückwärtslaufen?

Wichtig für alle, die mit dem Rückwärtslaufen starten wollen: Beginnen Sie mit kleinen Trainingseinheiten von zunächst wenigen Minuten und gehen Sie dabei langsam und bewusst vor.

„Man muss sich erst einmal diese unnatürlichen Bewegungsabläufe erarbeiten“, sagt Froböse. Sein Tipp: Zunächst im Schritttempo gehen, dann allmählich die Geschwindigkeit steigern. Nach einer Eingewöhnungsphase von ein bis zwei Wochen kann man dann Stück für Stück das Training steigern.

Worauf sollte man beim Rückwärtslaufen achten?

„Gute Laufschuhe mit flexiblen Sohlen sind das A und O“, erklärt Froböse. Sie bieten den Füßen Halt und verringern so das Risiko, dass man beim Rückwärtslaufen stolpert und stürzt. Auch auf die richtige Laufumgebung kommt es an. Ein kurvenreicher, steiniger Weg ist nicht geeignet. Besser ist etwa eine Sporthalle oder eine Wiese. Und von Vorteil ist oft auch, das Training zu zweit anzugehen. Während die eine Person rückwärts läuft, sichert die andere die Strecke ab. Später wechseln sich beide mit dem Laufen und Absichern ab.


Quellen:

  • Aksentijevic A, Brandt KR, Tsakanikos E et al: It takes me back: The mnemonic time-travel effect. In: Cognition: 01.01.2019, https://doi.org/...
  • Alghadir AH, Anwer S, Sarkar B et al: Effect of 6-week retro or forward walking program on pain, functional disability, quadriceps muscle strength, and performance in individuals with knee osteoarthritis: a randomized controlled trial (retro-walking trial). In: BMC Musculoskelet Disord : 09.04.2019, https://doi.org/...